Die Kanzlei Recht am Ring informiert über eine Entscheidung aus dem Familienrecht: Zur Vormundschaft der Großeltern für ein minderjähriges Kind:
Wenn die leiblichen Eltern für ein minderjähriges Kind nicht mehr zur Verfügung stehen können, weil sie selbst schwer krank, oder gar verstorben sind, geht man im allgemeinen davon aus, dass die Großeltern des Kindes quasi automatisch zum Vormund für das Kind bestellt werden.
Welches Rechtsmittel haben die Großeltern für den Fall, dass sie wider Erwarten nicht zum Vormund bestellt wurden?
Der Bundesgerichtshof hat sich mit dieser Frage beschäftigt, und entschieden, dass ihnen zwar keine Beschwerdeberechtigung, wohl aber die Möglichkeit der Erinnerung offen steht.
Im entschiedenen Fall war die Kindesmutter verstorben und der Kindesvater lebte ohne Kontakt zum Kind in einer Betreuungseinrichtung. Die Kindesmutter hat schriftlich fixiert, dass sie sich nach ihrem Tod ihre Eltern als Vormund für das Kind wünscht.
Auf Anregung des Jugendamtes wurde die Vormundschaft erstinstanzlich dem Sozialdienst Katholischer Männer und Frauen übertragen. Hiergegen wehrten sich die Großeltern mit einer Beschwerde.
Der BGH führte in seiner Entscheidung v. 26.6.2013 u.a. aus:
„ Das Recht der Großeltern auf Beachtung ihrer nahen Verwandtenstellung bei der Auswahl des Vormunds gewährt ihnen keine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG, wenn sie bei der Bestellung zum Vormund übergangen wurden. Sie können jedoch gegen die Entscheidung des Rechtspflegers Erinnerung einlegen.
Die Großeltern sind entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht zur Beschwerde berechtigt.
Die Beschwerdeberechtigung ist in § 59 FamFG geregelt. Nach Absatz 1 steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Gemäß Absatz 2 steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu, wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist.a) Allein der Umstand, dass die Großeltern beim Amtsgericht die Übertragung der Vormundschaft beantragt haben und dieser Antrag zurückgewiesen worden ist, begründet die Beschwerdeberechtigung im Sinne des § 59 FamFG nicht. Zum einen sind die Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 FamFG nicht erfüllt, weil der Beschluss über die Vormundschaft nicht auf Antrag, sondern gemäß § 1774 Satz 1 BGB von Amts wegen erlassen wird; der “Antrag” der Großeltern ist deshalb als Anregung zu verstehen. Im Übrigen normiert Absatz 2 keine selbständige Beschwerdeberechtigung, sondern beschränkt das in Absatz 1 generell, das heißt sowohl für Amts- wie für Antragsverfahren, geregelte Beschwerderecht. Deshalb begründet die Zurückweisung des Antrags für sich allein noch kein Beschwerderecht (BGH Beschluss vom 1. März 2011 – II ZB 6/10 – NJW 2011, 1809 Rn. 9; OLG Frankfurt MDR 2012, 1466, 1467). Der dadurch formell beschwerte Antragsteller ist nur dann beschwerdeberechtigt, wenn er zugleich materiell beschwert, also durch die erstinstanzliche Entscheidung in einem subjektiven Recht beeinträchtigt ist (Keidel/Meyer-Holz FamFG 17. Aufl. § 59 Rn. 39; Zöller/Feskorn ZPO 29. Aufl. § 59 FamFG Rn. 9 f.; vgl. auch OLG Frankfurt MDR 2012, 1466, 1467).
b) Dass die Antragsteller die Großeltern des betroffenen Kindes sind und ein berechtigtes Interesse an der Entscheidung haben, begründet für sich genommen keine Beschwerdeberechtigung i.S.d. § 59 FamFG.
aa) Die Großeltern haben allerdings ein Recht auf Beachtung ihrer nahen Verwandtenstellung bei der Auswahl des Vormunds (BVerfG FamRZ 2009, 291 Rn. 35). Dieses Recht leitet das Bundesverfassungsgericht aus der staatlichen Schutzpflicht für die aus Eltern und Kindern bestehende Familiengemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 GG), aus dem Vorrang der Eltern bei der Verantwortung für das Kind (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie aus dem von Art. 8 EMRK gewährleisteten Familienleben ab (vgl. BVerfG FamRZ 2009, 291 Rn. 21 f.). Dem hat der Gesetzgeber mit dem sog. Verwandtenprivileg aus § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB Rechnung getragen, wonach bei der Auswahl des Vormunds namentlich die Verwandtschaft mit dem Mündel zu berücksichtigen ist.
bb) Der Senat hat bereits zu § 20 Abs. 1 FGG, der § 59 Abs. 1 FamFG entspricht, entschieden, dass die Großeltern in Verfahren, die die Bestellung eines Vormunds oder eines Pflegers für ihr Enkelkind zum Gegenstand haben, grundsätzlich nicht beschwerdeberechtigt sind (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 – XII ZB 241/09 – FamRZ 2011, 552). ….
cc) Dementsprechend fehlt es den Großeltern für eine Beschwerde nach dem hier maßgeblichen § 59 Abs. 1 FamFG regelmäßig an der erforderlichen Beschwerdeberechtigung (OLG Frankfurt MDR 2012, 1466, 1467; OLG Hamm NJW-RR 2011, 585; BeckOK-BGB/Bettin Stand 1. Mai 2013 § 1779 Rn. 7; aA MünchKommBGB/Wagenitz 6. Aufl. § 1779 Rn. 22)………
c) Eine Beschwerdeberechtigung ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung auch nicht aus dem – nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts – von der Mutter schriftlich geäußerten Wunsch, dass sich nach ihrem Tod die Großeltern um das Kind kümmern und das Sorgerecht ausüben sollten.
aa) Dabei kann dahinstehen, ob eine Benennung der Großeltern seitens des Sorgerechtsinhabers in der Form der §§ 1776, 1777 BGB ein subjektives Recht i.S.d. § 59 Abs. 1 FamFG zu begründen vermag. Denn jedenfalls sind die formalen Anforderungen an ein solches Benennungsrecht – wie das Beschwerdegericht selbst feststellt – nicht erfüllt.
(1) Nach § 1776 Abs. 1 BGB ist als Vormund berufen, wer von den Eltern des Mündels als Vormund benannt ist. Gemäß § 1777 Abs. 1 BGB können die Eltern einen Vormund benennen, wenn ihnen zur Zeit ihres Todes die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes zusteht. § 1777 Abs. 3 BGB verlangt, dass der Vormund durch letztwillige Verfügung benannt wird.
Rechtsfolge einer wirksamen Benennung ist, dass gemäß § 1778 Abs. 1 BGB derjenige, der nach § 1776 BGB als Vormund berufen ist, nur ausnahmsweise in den Fällen des Nr. 1 bis 5 ohne seine Zustimmung übergangen werden darf. Hieraus wird in der Literatur geschlossen, dass die Benennung durch die Eltern ein eigenes subjektiv-öffentliches Recht auf Bestellung zum Vormund und damit auch eine Beschwerdebefugnis nach § 59 Abs. 1 FamFG beinhaltet (MünchKommBGB/Wagenitz 6. Aufl. § 1776 Rn. 10; s.a. Palandt/Diederichsen, BGB 71. Aufl. § 1776 Rn. 2).
(2) Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahinstehen. Denn Voraussetzung für eine wirksame Benennung im vorgenannten Sinne ist, dass die Form des § 1777 Abs. 3 BGB (Benennung durch letztwillige Verfügung) eingehalten ist. Das ist hier nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts aber nicht der Fall.
Da die Mutter die maßgebliche Erklärung nicht eigenhändig geschrieben hat, fehlt es an der Form des § 2247 Abs. 1 BGB. Ebenso wenig ist die Form eines Nottestaments gewahrt. Einschlägig wäre hier allein das “Nottestament vor drei Zeugen” i.S.d. § 2250 BGB. Hierzu hat bereits das Oberlandesgericht ausgeführt, dass dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Unbeschadet der – von der Rechtsbeschwerdeerwiderung verneinten – Frage, ob die Erklärung auch von allen Zeugen unterschrieben sein muss, scheitert die Wirksamkeit dieses Testaments bereits daran, dass die Großeltern selbst gemäß § 2250 Abs. 3 Satz 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 BeurkG als Zeugen ausscheiden.
bb) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts kann ein Beschwerderecht nicht schon dann angenommen werden, wenn der sorgeberechtigte Elternteil unmissverständlich für den Fall seines Todes eine bestimmte Person als Vormund für das minderjährige Kind wünsche, ohne dass die Form einer letztwilligen Verfügung gewahrt ist.
Zwar ist auch der mutmaßliche Wille der Eltern gemäß § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat allerdings nur dem durch letztwillige Verfügung benannten Vormund in § 1778 BGB eine privilegierte Stellung eingeräumt. Da der Gesetzgeber den Kreis der Beschwerdeberechtigten jedoch reduzieren wollte und eine Privilegierung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen vorgesehen hat, ist eine extensive Auslegung der §§ 1776, 1777 BGB, namentlich des § 1777 Abs. 3 BGB, ausgeschlossen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 – XII ZB 241/09 – FamRZ 2011, 552 Rn. 17).
3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Allerdings kann der Senat trotz der Unzulässigkeit der Beschwerde zum Oberlandesgericht gemäß § 74 Abs. 6 FamFG keine abschließende Entscheidung treffen. Vielmehr ist die Beschwerde der Großeltern als Rechtspflegererinnerung zu behandeln und bedarf daher noch einer Entscheidung durch das Amtsgericht.
a) Gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die ein Rechtsmittel nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht gegeben ist, findet die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG statt. Ein solches Rechtsmittel ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn es nicht statthaft oder aus anderen Gründen unzulässig ist. Über die Erinnerung entscheidet dann – im Fall der Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger – gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG der Familienrichter. Damit ist gewährleistet, dass die Entscheidung des Rechtspflegers der richterlichen Überprüfung unterzogen und insoweit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) Genüge getan wird (Senatsbeschluss vom 28. Mai 2008 – XII ZB 104/06 – FamRZ 2008, 1433 Rn. 15 unter Hinweis auf BVerfGE 101, 397, 407 f.).
b) Über das Begehren der Großeltern hat gemäß §§ 3 Nr. 2 a, 14 RPflG eine Rechtspflegerin entschieden. Die Beschwerde hat sie dem Oberlandesgericht vorgelegt. Da die Beschwerde zum Oberlandesgericht indes nicht zulässig ist, hätte die Rechtspflegerin selbst über die Abhilfe entscheiden und bei ihrer Ablehnung die Sache dem Amtsrichter vorlegen müssen
Dem steht nicht entgegen, dass auf die Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 RPflG im Übrigen die Vorschriften über die Beschwerde sinngemäß anzuwenden sind und damit auch eine Erinnerungsbefugnis gegeben sein muss.Anders als für die Beschwerdebefugnis nach § 59 Abs. 1 FamFG reicht es für die Erinnerungsbefugnis der Großeltern aus, dass sie ein berechtigtes Interesse an der Entscheidung haben und in dem Verfahren vom Amtsgericht auch beteiligt worden sind. Denn damit die Großeltern ihr Recht auf Beachtung ihrer Verwandtenstellung effektiv geltend machen können, ist ihnen der Rechtsweg i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG zu eröffnen und damit eine Entscheidung durch den Richter zu ermöglichen. Dieser Auslegung steht das Anliegen des Gesetzgebers, die Rechtsmittel in diesem Bereich einzuschränken, nicht entgegen, weil das Erinnerungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet…….“
BGH, Beschl. v. 26.06.2013 – XII ZB 31/13 H